Eine Zahl sagt mehr als tausend Folien

Mein Einkommen bestreite ich seit vielen Jahren durch Vorträge auf Konferenzen oder Firmenveranstaltungen. Meist rede und erzähle ich dabei 45 Minuten bis eine Stunde. Manchmal auch länger. Damit es unterhaltsam bleibt, versuche ich möglichst wenig Folien durchzuklicken und keine reine PowerPoint-Folienschlacht zu machen.
Es gab aber eine Zeit, in der ich genau das gemacht habe: eine Folienschlacht. Ich hatte mal einen Vortrag mit fast 1.000 Folien in 45 Minuten. Es ging um Shitstorms in Sozialen Netzwerken und wie man damit umgeht. Es war eine Erzählung, bei der im Hintergrund passende Bilder zu sehen waren, alle drei Sekunden eine neue Folie. In dem Vortrag ging um Lindsey Stone, die einem massiven Shitstorm ausgesetzt war, weil sie auf einem Foto so tat, als ob sie Schreien würde, während sie neben einem Schild mit der Aufschrift „Ruhe bitte“ posierte. Ich untermalte die Story mit allerlei Fotos die mich trotz Verbots auf der Wiese liegend oder neben meinem abgestellten Fahrrad zeigten, obwohl das dort nicht gestattet war.
Den kürzesten Vortrag, den ich je machen durfte, der dauerte zehn Minuten. Das ist deshalb total absurd, weil ich dafür mit dem Flugzeug anreisen musste und mindestens neun Stunden hin und zurück unterwegs war. Aber egal, der Kunde hat den Arbeitstag voll bezahlt und wollte das so. Ich habe natürlich versucht, in diese zehn Minuten so viele Infos, Witze, Folien und Anekdoten zu packen, wie es nur ging. Vermutlich habe ich daher ziemlich schnell gesprochen, mindestens 20 Folien gezeigt und die Zuschauer atemlos zurückgelassen.
Ganz anders ein Vortrag von Steve Race, der 1995 Präsident von Sony Computer & Entertainment in den USA war. Er war auf der E3-Konferenz in Los Angeles, um über die erste PlayStation zu sprechen, die dort gerade auf den Markt geworfen werden sollte. Sein Problem: Die Hauptkonkurrenten Nintendo und SEGA lieferten sich ein erbittertes Duell um die Führungsposition im Spielkonsolen-Markt. Sony war ein Newcomer. Während Nintendo bei der jungen Zielgruppe nicht gerade als »cool« galt, hatte SEGA seine neue Saturn-Konsole bereits angekündigt. Für 399 Dollar würde sie ihr eigenes Vorgängermodell in allen technischen Belangen wie Grafik und Sound in den Schatten stellen. Und Steve Race sollte mit seiner Präsentation der damals noch völlig unbekannten PlayStation Marktanteile sichern. Ich hätte vermutlich mit einer völlig hippen, saugeil animierten und mit Soundeffekten gespickten Präsentation alle Vorteile des Produkts beworben.
Steve Race machte etwas anderes. Er hatte nichts animiertes, er hatte nichts mit Sound. Er hatte auch nicht 1.000 Folien wie ich. Im Gegenteil.
Er hatte keine einzige Folie. Race ging auf die Bühne mit einem kleinen Stapel Blätter in der Hand. Er sah aus wie ein Nachrichtensprecher, der gleich einen Text ablesen würde. Race schaute kurz ins Publikum, sagte ein einziges (!) Wort und verschwand unter aufbrandendem Jubel wieder vom Rednerpult. Mit diesem Wort – zur richtigen Zeit am richtigen Ort – hatte Steve Race gerade den Spielkonsolenmarkt komplett aufgemischt.
»TwoNinetyNine«, also »Zweineunundneunzig«, sagte Steve Race in der wahrscheinlich kürzesten Präsentation aller Zeiten. Es war der Preis der ersten PlayStation in den USA. Hundert Dollar günstiger als die Konkurrenz. Bis heute hat keine Firma mehr Spielkonsolen verkauft als Sony seine PlayStation. Manchmal sagt eine einzige Zahl einfach mehr aus als tausend Folien.

Bildnachweis: Privat / Screenshot aus Video

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