Die zweite chinesische Mauer

Wer nach London reist, sollte vorsichtig sein. Nicht nur, weil da Cola oder Fish & Chips überteuert sind, nein, man sollte auf seine Sachen aufpassen. Insbesondere auf sein Smartphone. Das ist in London schneller weg als aufgeladen.
Im Juni dieses Jahres beschwerten sich britische Parlamentarier, dass die Anti-Diebstahl-Funktionen von Smartphones nicht ausreichend gut funktionieren. Denn allein im Vorjahr wurden allein in London sage und schreibe 80.000 Smartphones gestohlen – so die Polizei der britischen Hauptstadt. Rund 80 Prozent davon waren iPhones.
Nun ist das an sich schon spannend, denn wer ein gesperrtes iPhone hat und die PIN nicht kennt, hat gar nicht so viele Möglichkeiten, das Gerät zu nutzen. Auch als Ersatzteillager sind gesperrte Geräte nicht nutzbar. Und da laut Apples Security-Manager Garry Davis 9 von 10 iPhones den »Wo ist«-Dienst aktiviert haben, lassen sie sich auch nicht auf Werkseinstellungen zurücksetzen, wenn man die PIN nicht kennt.
Die Diebe haben sich auf solche Fälle natürlich spezialisiert. Sie kommen auf dem Fahrrad, der Vespa oder dem Motorrad angefahren und reißen den Opfern das Smartphone aus der Hand, während sie es benutzen. In diesem Zustand ist es entsperrt. Die nötige PIN für das Zurücksetzen ist aber dennoch nicht bekannt. Weder der Apple-Manager, noch sein Kollege von Google (Android-Smartphones) konnte den Politikern wirklich erklären, warum das Schutzsystem nicht effektiver ist.
Nun, knapp vier bis fünf Monate später, könnte die Antwort gefunden sein. Die Londoner Polizei hat eine kriminelle Bande hochgehen lassen, die für fast jeden zweiten Smartphone-Diebstahl in der britischen Metropole verantwortlich ist. Sie alleine soll letztes Jahr 40.000 gestohlene Geräte außer Landes geschmuggelt haben.
Festgenommen wurden zwei Drahtzieher Ende September. In ihrem Auto wurden 2.000 mit Alufolie umwickelte Handys sichergestellt. Vermutlich sollte die Folie verhindern, dass die Handys ihre Position verraten. Es half nichts, denn auf die Spur der Bande brachte die Polizei ein Opfer, dessen »iPhone suchen«-Funktion eine Lagerhalle in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow anzeigte.
Weitere Untersuchungen der Polizei brachten dann aber Erkenntnisse zu Tage, die mich durchaus nachdenklich zurücklassen. Den Straßendieben wurden rund 350 Euro pro erbeutetem, entsperrtem Gerät bezahlt. Die Bande dahinter verkaufte diese dann für bis zu 5.000 US-Dollar (4.300 Euro) weiter. Und ich dachte mir: Moment mal, ein neue iPhone kostet mit etwa 1.500 Euro gerade mal ein Drittel. Wer bitte ist so blöd und kauft sich ein überteuertes, gestohlenes Gerät, anstatt sich drei neue iPhones zu gönnen?
Die Antwort: Das Schmuggelziel der 40.000 Smartphones ist China. Mit den westlichen Geräten lässt sich die chinesische Internetzensur – The Great Firewall – umgehen. Die Leute, die dort die Geräte so teuer erwerben, leiden unter den staatlichen Repressalien und suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, um unzensierte Nachrichten lesen.
Puuuuh. Bei meinem nächsten London-Trip bringe ich zwei, drei alte Handys ohne PIN Schutz mit und lasse sie mir gerne aus der Hand reißen. Für die Freiheit!

Bildnachweis: Metropolitan Police

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