Die bekanntesten Betreiber von Chatprogrammen dürften WhatsApp, Telegram, Signal, Threema und Viber sein. Dann gibt es noch ein paar Exoten wie Teletext und die Polizei. Sie haben richtig gelesen: Teletext und die Polizei.
Über ein Chatsystem per Teletext habe ich bereits Anfang Februar 2022 ausführlich berichtet. Da Knackis keine Smartphones haben dürfen, können sie mit Ihren Familien draußen nicht chatten. Nachrichten empfangen geht aber auch hinter schwedischen Gardinen. Die Familie in Freiheit kann per SMS kurze Nachrichten an RTL senden, die dann im Teletext auf Seite 673 angezeigt werden. Und TV-Geräte mit Teletext gibt es auch im Knast.
Ein weiteres Chatsystem, das noch viel enger mit Kriminellen und der Polizei verbunden ist, heißt BKMS. Was klingt wie der Name einer Krankenkasse steht für „Business Keeper Monitoring System“ und ist ein hochgradig anonymes Hinweisgebersystem der Polizei im Internet. Nun schließen sich die Begriffe Internet, Anonym und Polizei gefühlt irgendwie aus, aber wenn man es technisch richtig angeht und Benutzer wie Betreiber ein paar Dinge beachten, dann funktioniert das.
Im September 2012 wurde das System eingeführt. Wer möchte kann hier völlig anonym Hinweise an Strafverfolgungsbehörden geben. Die Polizei gibt dabei sogar Tipps und Hinweise, dass man nicht aus Versehen doch etwas von sich preisgibt. Sie rät zum Beispiel dazu, nicht aus dem Intranet des Arbeitgebers zu schreiben und warnt bei Dateianhängen vor Metadaten, die letztlich doch Rückschlüsse auf den Hinweisgeber zulassen könnten.
Ursprünglich – so eine Pressemitteilung von 2022 zum 10-jährigen Bestehen – „wurde das BKMS für die Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität sowie des Rechtsextremismus eingerichtet. Zwischenzeitlich wird es auch im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus, Linksextremismus und Antisemitismus eingesetzt. Das internetbasierte Dialogsystem dient der Bekämpfung besonders sozialschädlicher Kriminalitätsformen, bei denen Experten von einem hohen Dunkelfeld und geringer Anzeigebereitschaft der Opfer und Tatbeteiligten ausgehen.“ Es ist auf Deutsch, Türkisch, Arabisch und Englisch verfügbar – und wer will, kann sich für einen längeren Dialog mit den Behörden auch ein Konto einrichten. Die Polizei beschreibt das System als so anonym, dass sie sogar den seit Jahrzehnten gesuchten RAF-Terroristen Garweg, Staub und Klette nahelegt, darüber Möglichkeiten des Sich-Stellens und einer Kronzeugenregelung zu besprechen. *
Und Nein, ich denke nicht, dass das eine Falle der Polizei ist. Schließlich wurden über BKMS bereits etwa 10.000 Hinweise eingereicht. Diese dürften in Summe viel wertvoller sein als ein einmaliger Fahndungserfolg, der das Vertrauen in das System beschädigt. Das wäre in etwa so, wie wenn Ransomware-Betrüger nach Zahlung des Lösegeldes die verschlüsselten Daten nicht wiederherstellen würden. Damit würden sie ihr eigenes Geschäftsmodell torpedieren, weil kein zukünftiges Opfer mehr bezahlen würde. Es ist also gar keine schlechte Idee der Polizei, es den Cyberkriminellen gleichzutun und das Vertrauen der eigenen „Kundschaft“ nicht zu verspielen.
Ergänzung: Die EU will ja schon lange eine verpflichtende „Chatkontrolle“ einführen, also die Möglichkeit zum Mitlesen der Nachrichten aller User, um Straftaten (teilweise) automatisiert zu erkennen. Auch wenn das absurde Vorhaben im Dezember 2023 vorerst gescheitert ist, weil sich die EU nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen konnte … ich frage mich gerade, ob so eine Chatkontrolle dann auch für das extra anonym gebaute BKMS gelten müsste und man sich so ins eigene Fleisch schneidet? Das wäre ja echt blöd.
Nachtrag 20.02.24: Wie der NDR berichtet, hat das LKA Niedersachsen nach der Aktenzeichen XY Sendung vom 14.Februar 161 neue Hinweise zu den RAF Terroristen erhalten. Davon kamen 48 anonym über das Hinweissystem BKMS.
Bildnachweis: Screenshots vom BKMS und Teletext