Fast hätte ich geschrieben: 3.000 Jahre Tinte. Doch das stimmt nicht. Tinte wurde schon vor 5.000 Jahren erfunden, also 3.000 vor Christus. Und jetzt wissen Sie, was mich durcheinandergebracht hat.
Die ersten Tinten wurden aus Ruß und Bindemitteln hergestellt. Heute sind es Industrietinten, mit denen Zeitungen Buchstaben und Worte aufs (recycelte) Papier pressen. Schwarz auf weiß. Was geschrieben steht in großen Lettern auf Papier gilt als verlässlich und beständig. Verlässlicher und beständiger als Worte jedenfalls. Zumindest dann, wenn sich Autor:innen beim Schreiben Mühe geben.
Die Tinte im Internet besteht hingegen nur aus LED-Pixeln auf Monitoren. Sie haben keine Beständigkeit, gehen an und aus und formen immer neue Buchstaben. Eine Inflation aus Wörtern und Sätzen überschwemmt uns mit sinnlosen, lustigen, langweiligen, interessanten, spannenden, aber auch reißerischen oder hetzenden Texten. Und richtigen wie falschen Nachrichten. Digitale Tinte ist nicht halb so verlässlich, wie Druckertinte.
Die spannendste Tinte ist meines Erachtens jedoch die Geheimtinte, also eine Tinte, die die geschriebenen Worte vor neugierigen Augen versteckt. Rezepte für Geheimtinte gibt es schon ewig. Im 16. und 17. Jahrhundert nannte man sie „sympathetische Tinten“ – von „Sympatheia“ dem altgriechischen Wort für „Zuneigung“ – denn sie wurden häufig beim Schreiben von Liebesbriefen genutzt, damit Eltern und Postboten nicht heimlich mitlesen konnten. Einfache Geheimtinten bestehen aus Milch oder Zitronensaft. Mit ihnen geschriebene Worte werden erst durch Erhitzen des Papiers sichtbar, was an den Kohlenhydraten liegt, die durch die Hitze verkohlen und sich verfärben.
Von der Geheimhaltungsfunktion von Zitronensaft haben auch die zwei Bankräuber McArthur Wheeler and Clifton Earl Johnson gehört. Sie überfielen am 06. Januar 1995 zwei Banken in Pittsburgh. Dabei trugen sie keine Masken und versuchten auch gar nicht, ihre Gesichter zu verbergen. Johnson hatte Wheeler glaubhaft versichert, dass sie auf den Videos der Überwachungskameras nicht zu sehen seien, wenn sie ihre Gesichter mit Geheimtinte aus Zitronensaft einreiben würden. Sie wurden erwischt. Wheeler konnte es kaum glauben, als er sich auf den Bildern der Überwachungskameras erkannte. Er hatte die geheimhaltende Tinte extra getestet. Auf einem Selfie, das er vor den Überfällen mit einer Polaroid Kamera von sich geknipst hatte, war sein mit Zitronensaft eingeriebenes Gesicht nicht zu sehen. Das lag jedoch nicht an der Geheimtinte. Die Polizei vermutet, dass Wheeler die Kamera aus Versehen falsch herum gehalten hat. Obwohl in der Anleitung der Kamera mit schwarzer Tinte auf weißem Papier gedruckt stand, wie’s geht.
Dieser Text ist im Übrigen ganz bewusst mit „sehr heller Tinte gedruckt“ worden, damit Sie sich beim Lesen etwas Mühe geben müssen – zumindest dieses eine Mal. Denn, so sagte einmal der Journalist Wolf Schneider: „Einer muss sich Mühe geben – der Leser oder der Redakteur. Der Leser will aber nicht.“ Deswegen gebe ich mir hier jede Woche Mühe.
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Eine geringe Herausforderung. Einfach markieren und schon kann man(n) den Text ohne Probleme lesen. :-D