Digitaler Pranger

Bis 2020 wird in China für jeden Bürger ein Punktekonto eingerichtet, das man durch anständige Tätigkeiten wie Müll sauber trennen oder freundlich für die Partei Fähnchen schwenken, auffüllen kann. Besonders effektiv für das Punktekonto sind ehrenamtliche Tätigkeiten wie Hausaufgabenbetreuung, aber auch Blut spenden erhöht den Score. Der Punktestand auf dem persönlichen Konto senkt sich hingegen, wenn man gegen Regeln verstößt. Das kann das achtlose Wegwerfen des Coffee-to-go-Bechers sein. Aber auch das Überqueren einer Fußgängerampel bei Rot.

Wer ein prallvolles Punktekonto hat, bekommt Vorzüge vom Staat. Bessere Wohnungen oder bessere Arbeit. Natürlich sind auch Sanktionen vorgesehen, wenn jemand sich nicht so verhält, wie Vater Staat sich das wünscht. Sinkt der Punktestand zu tief, wird man mit Reise- oder Fahrverboten belegt. Im Gespräch ist auch, die Internetgeschwindigkeit zu senken. Wer drei Wochen mit EDGE-Geschwindigkeit surfen muss, bleibt danach freiwillig bei jeder roten Ampel stehen. Wetten?

Das ganze System ist derzeit in einer Probephase. Es wird erst 2020 scharf. Es funktioniert mit Millionen hochauflösenden Kameras und einer Software für Gesichtserkennung. Einige Städte proben schon. Mangels Punktesystem (wie gesagt, erst 2020) greift man aktuell zum digitalen Pranger. Wird eine Person beim Überqueren einer roten Fußgängerampel gefilmt und erkannt, dann wird Name, Adresse und Vergehen samt Passfoto innerhalb von Sekunden auf großen Bildschirmen angezeigt. „Um Lei Tung ist bei Rot über die Ampel gelaufen!“ steht dann da. Für jedermann sichtbar.

Die Küstenstadt Ningpo testet das System auch schon. Auf dem digitalen Pranger wurde letztens Frau Dong Mingzhu gezeigt. Sie lief mehrfach bei Rot über die Ampel – immer wieder, am gleichen Übergang, in festen Zeitabständen, über den ganzen Tag verteilt. Das war deshalb seltsam, weil Dong Mingzhu eine bekannte Unternehmerin ist und den ganzen Tag in ihrem Büro saß. Wie sich herausstellte ziert ihr Konterfei als Werbegesicht die Seite eines Linienbusses. Dieser fuhr in festen Zeitabständen bei Grün (für Autos) über die Kreuzung. Die Kamera auf der Fußgängerampel (Rot!) erkannte Frau Mingzhu auf dem Bus und ging anhand der Blickrichtung davon aus, dass sie gerade (mal wieder!) bei Rot über die Straße läuft. Und Zack! war sie drauf, auf dem Petze-Bildschirm. War natürlich ein Fehler. Die Polizei hat sich bei Frau Mingzhu entschuldigt und die hat im Gegenzug die so hart arbeitende Polizei über den grünen Klee gelobt … was sicherlich auch Punkte bringen würde, wenn das System schon scharf geschaltet wäre.

Dass so ein Fehler bei mir zu negativen Einträgen führt, ist zum Glück ja nicht zu befürchten. Ich mache keine Werbung. Schon gar nicht auf Bussen. Ich bin auch schon ewig keinen Bus mehr gefahren. Sollte ich mal wieder tun. Hab letztens gehört, da werden jetzt schon kostenlos Kaugummis verteilt. Unter den Sitzen sollen die sein. Schauen Sie doch mal nach!

3 Kommentare zu “Digitaler Pranger

  1. Danke für diesen wundervollen Beitrag!
    Ich finde es fehlt noch die Verknüpfung mit den vielen Gesundheits-Apps, denn das System muss schon wissen wenn jemand Farbenblind ist (wegen den roten Ampeln)
    oder auch sonstige Leiden hat das er es nicht in der Grünphase über die Ampel geschafft hat !
    Hätte da noch viele Ideen dazu

  2. Wieso so konservativ?
    Ein gehirnimplantierter Chip, bei Geburt eingesetzt, der schon jeden nicht-systemkonformen Gedanken mit einem Stromstoß oder einem Depri-Hormonstoß sanktioniert…
    Frei nach dem Pawlow’schen Hund werden dabei alle von Kleinauf zu Gutmenschen konditioniert die nie überhaupt was böses denken… Wundervolle neue Kontrollfreak-Welt.
    Natürlich bekommen gewisse Leute aus höheren Gesellschaftsschichten eine Möglichkeit den Chip abzuischalten… wäre ja noch schöner wenn neuerdings Regeln auch für diejenigen gelten würden, die sie machen… ;)
    Ich freue mich schon auf den Rest des Jahrhunderts….

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