Die Milch macht’s

Angefangen hat alles in der Schweiz. Genauer gesagt in Appenzell, südlich von St.Gallen. Dort – so erzählte 2017 ein Bergbauer während eines Interviews in die Kamera – seien die Winter besonders streng, weshalb die Kühe zu der Zeit im Stall bleiben müssten. Dann jedoch, so erzählt er weiter, würden die Viecher die saftigen Wiesen und Kräuter vermissen, die es in Appenzell so zahlreich gibt. Problematisch sei das deshalb, weil die Paarhufer dann nicht die beste Milch geben würden. Um dies zu verhindern, hat der Bauer seinen Kühen nun Virtual-Reality-Brillen aufgezogen. Dank eingespielter Videos „sehen“ die Kühe in bewegten 3D-Animationen saftige, grüne Wiesen, fühlen sich „pudelwohl“ (Zitat) und geben – trotz Aufenthalt im Stall – beste Milch. Für besten Appenzeller Käse.

Aufgegriffen hat diese Idee zwei Jahre (2019) später dann auch das russische Landwirtschaftsministerium. In der Nähe Moskaus wurden in einem Betrieb speziell an die Kopfform von Kühen angepasste VR-Brillen getestet.

Auch sie sollten dafür sorgen, dass die Tiere glauben, statt im Stall auf einer grünen Wiese zu stehen. Vermutlich sind um Moskau die Winter sogar noch strenger als in Appenzell, weswegen die Tiere noch länger an der Nase herumgeführt werden müssen. Wie das russische Ministerium bekannt gab, war das Projekt ein voller Erfolg. Die Tiere waren insgesamt ruhiger und hatten weniger Angst. Etwas ungenauer waren die sozialistischen Angaben bei der Milchproduktion. Es ließen sich nämlich „nie dagewesene Ergebnisse erzielen.“.

Es wird angenommen, dass die Meldung des Moskauer Experiments einen politischen Hintergrund hatte, um die Bevölkerung zu beruhigen, da angesichts der Sanktionen auf EU-Lebensmittel die Verfügbarkeit von Milchprodukten schlecht war. Die Schweizer Geschichte war sowieso Unsinn. Es handelte sich um einen lustigen Werbespot von „Appenzeller Käse“, was sich spätestens dann jedem erschloss, als der Bauer zeigte, dass die Kühe das eingespielte Programm frei wählen können. Auch eine indische Entspannungs-Séance stünde neben dem „Saftige Wiese“-Film zur Verfügung.

Izzet Kocak, Milchbauer aus der Türkei, hat sich von diesem Klamauk nicht abhalten lassen und im Januar 2022 Nägel mit Köpfen gemacht. Beziehungsweise: Kühe mit Brillen. Er hat 100 Kühe in seinem Stall und für zwei davon tatsächlich VR-Brillen mit Videos von grünen Wiesen angeschafft. Satte 27 Liter Milch würden die Test-Rinder nun geben, fünf mehr als sonst, erzählt Kocak, der im Stall zudem klassische Musik von Mozart und Beethoven laufen lässt. Bereits 10 weitere VR-Brillen habe er mittlerweile bereits bestellt, so der Landwirt weiter. Dass er zudem Gründer eines Video-Streaming-Startups namens „Muhflix“ sei, ist allerdings keine Kuh, sondern eine Ente.


Bildnachweis: Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung der Region Moskau

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