Sie klingen aber krank

Letztens saß hinter mir im Flieger eine Frau, die sich den ganzen Flug über geschnäuzt hat. Ich habe richtig gemerkt, wie die Nase und auch die Nebenhöhlen der Frau dicht waren. Am Anfang ging es noch „schwer“, aber je mehr sie pustete, desto mehr hörte man, wie die Rotze im Taschentuch landete. Und das ging den ganzen Flug so weiter – denn kaum war ein Nasenflügel befreit, war der andere schon wieder zu. Dazu dieses Atmen durch den Mund, das den Hals austrocknet und die Frau immer wieder zum Husten brachte. Man muss wirklich kein Arzt sein, um zu hören, dass diese Frau einen Schnupfen hat. Das wiederkehrende Muster aus Husten, Schnäuzen, Atmen durch den Mund hat mir alles verraten.

Und während ich mir bildlich vorstellte, wie die Bakterien und Viren die 79-89cm Sitzabstand einer Lufthansa-Maschine überwinden, dachte ich daran, dass ich nicht der erste Informatiker bin, der Krankheiten am Geräusch erkennt. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Programmierer, die Computerprogrammen beibringen, ein Leiden und oder Gebrechen zu erkennen.

Über ein Gerät, das das kann, habe ich bereits im Oktober 2018 geschrieben. Es handelt sich um Alexa, den sprachgesteuerten Assistenten von Amazon. In einem Patent, das damals zugeteilt wurde, beschreibt Amazon eine Funktion für Werbeangebote an Kranke. Merkt Alexa aufgrund andauernden Hustens oder Schnäuzens, dass es dem Kunden nicht gut geht, bietet sie von sich aus ein Rezept für Hühnersuppe an – oder die kostenpflichtige Lieferung von Hustenbonbons. Das Ganze ist aus mehreren Gründen schwierig, denn das Patent deckt nicht nur die Erkennung von Schupfen ab, sondern auch von psychischen Störungen wie Depressionen (Patent Nr.: US 10,096,319 B1 „Voice-based determination of physical and emotional characteristics of users“). Das ist deshalb blöd, weil Amazon ein Kaufhaus ist und kein Arzt.

Heute, sechs Jahre später, sind wir zudem viel weiter. Gerade weil sich Künstliche Intelligenz (KI) hervorragend dazu eignet, wiederkehrende Muster zu erkennen. Also so Sachen wie Schnäuzen und durch den Mund atmen einer Sinusitis zuzuordnen – und dabei zudem den begleitenden Husten von einer Corona-Infektion zu unterscheiden.

Das geht mittlerweile praktisch in Echtzeit. Mittels einer Stimmfrequenzanalyse lassen sich klinische Depressionen, bestimmte Herzkrankheiten und auch Parkinson diagnostizieren. Da muss man gar nicht mehr zum Arzt. Ein Anruf genügt, die Praxis drückt das Knöpfchen des Stimmanalysators und schon kommt das zur Krankheit passende E-Rezept per Internet auf die Gesundheitskarte. Toll eigentlich. Funktioniert technisch halt auch, wenn der Versicherungsvertreter dran ist und einem eine neue Hausratversicherung andrehen will – aber aus Ihnen unerfindlichen Gründen keinesfalls eine private Krankenzusatzversicherung.


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