Rattenscharf

Es ist richtig, dass Eulen nachts bis zu einhundert Mal besser sehen als ein Mensch. Was nicht stimmt ist, dass die großen Pupillen dafür sorgen, dass sie tagsüber schlechter sehen. Tatsächlich sehen Eulen bei Tageslicht genauso gut wie in der Nacht. Da sie sich jedoch überwiegend von Ratten und Mäusen ernähren und diese Viecher nun mal in der Nacht unterwegs sind, bleibt der Eule schlicht nichts anderes übrig, als ebenfalls nachtaktiv zu sein.

Was jedoch stimmt ist, dass sie mit ihren riesigen Glubschern verdammt gut sehen können. Sogar aus 50 Metern Höhe sind sie in der Lage, Details ihrer Beutetiere gestochen scharf zu erkennen. So scharf, dass davon die meisten Amateurfotografen nur träumen können. Und ganz ehrlich, nichts ist doch ärgerlicher als ein verschwommenes Foto.

Zum Glück machen wir Schnappschüsse heute nicht mehr auf einer mit Fotoemulsion beschichteten Folie, sondern auf CMOS-Sensoren in Digitalkameras und Smartphones. Das erlaubt gleich hundertfach auf den Abzug zu drücken ohne Film zu verschwenden. Irgendein Foto wird schon passen. Ausserdem werden die Bilder heutzutage nachträglich optimiert, wobei nachträglich hier nicht am PC bedeutet, sondern nach dem Abdrücken, aber noch vor dem Ansehen auf dem kleinen Monitor – nämlich direkt in der digitalen Kamera. Das erledigt die Software für uns automatisch. Manche Kameras machen nämlich nicht eine Aufnahme wenn man den Zeigefinger durchdrückt, sondern unbemerkt gleich drei oder gar noch mehr.

Diese Bilder sind in verschiedenen Helligkeitsstufen und Kontrast aufgenommen und das Programm nimmt aus jeder Aufnahme den besten Bereich und setzt diese optimal zusammen. So erhält man ein Hochkontrastbild (HDR – High Definition Range). Das gleiche Prinzip funktioniert natürlich auch mit der Schärfe. Stehen mehrere Personen auf einem Foto hintereinander und nur ein Gesicht ist fokussiert, kann man die anderen Gesichter später auf dem Touchscreen einzeln anklicken und wie von Zauberhand wird daraufhin dieses Antlitz gestochen scharf. Mehrere Momentaufnahmen aller in dem Bild vorhandenen Ebenen machen das möglich – selbst wenn bei der ein oder anderen Person ein bisschen Unschärfe gar nicht mal unvorteilhaft wäre.

Im Makro-Bereich, also der extremen Nahaufnahme von Kleinstgegenständen wie Insekten oder Blumen, lässt sich aus mehreren Bildern mit unterschiedlichem Fokus ein durchgängig gestochen scharfes Foto errechnen. Focus-Stacking nennt sich das. Da kann man dann ganz genau hinsehen und sieht tatsächlich jedes Härchen auf der Fliege – vorne wie hinten im Bild. Bei Schwiegermüttern kann man bei genauem hinsehen, sogar die Haare auf den Zähnen erkennen. Allerdings halte ich diese Funktion für unnötig. „Ganz genau hinschauen“ und „jedes Härchen erkennen“ scheinen wir in der Vergangenheit noch nie gebraucht oder vermisst zu haben. Oder ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Leonardo Da Vincis Mona Lisa gar keine Augenbrauen hat?

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