Da ist noch Luft drin

Pffffffffffft. Ziemlich auf den Tag genau vor 145 Jahren, am 19.März 1875, eröffnete die Österreichische Post- und Telegraphenverwaltung in Wien ein Rohrpostnetz. Auf einer Gesamtlänge von rund 12km wurden alle zehn Postämter innerhalb des Wiener Gürtels mit Kupferrohren verbunden.

Brief zur pneumatischen Expressbeförderung

Über eigene Zuleitungen wurde dazu Druckluft in die Transportröhren gepresst. Zu Spitzenzeiten schaffte das Wiener Netz bis zu 20.000 Büchsen täglich. Die Zylinder flutschten dabei mit bis zu 50km/h von A nach B. In Berlin gab es so eine Rohrpost sogar schon zehn Jahre früher, in München wurde sie hingegen erst 1922 für den öffentlichen Betrieb freigegeben.

Die Rohrpostsysteme wurden damals in vielen Städten nur gebaut, weil es Engpässe im Telegraphen-Netz gab. Was heute im Geschäftsleben die E-Mail ist, waren zur damaligen Zeit Telegramme. Angebote, Bestellungen, Lieferzusagen, Börsennotierungen … all das wurde immer häufiger von einem Postamt zum Nächsten telegrafiert, dort auf Postkarten geschrieben und dann von Boten ausgeliefert. Das wurde immer mehr, weshalb die Telegrafenleitungen immer häufiger überlastet waren. Was lag da also näher, als die Informationen gar nicht erst elektronisch zu übermitteln, sondern sie gleich als Postkarte pneumatisch zu transportieren. Pffffffffft.

Eine Überlastung der elektronischen Datennetze – sprich: des Internets – wird aktuell wegen der Corona Krise auch in einigen Medien oder Tweets heraufbeschworen. Weil momentan viele im Homeoffice Videokonferenzen machen und die zu Hause gebliebenen Schüler Netflix & Co. rauf und runter schauen, sei das Internet am Anschlag und die Luft  raus …. Pfffffffffffff.

Das stimmt aber nicht. Es gibt sogar Zahlen, die das bestätigen. Der größte deutsche Internetknoten DE-CIX in Frankfurt wird laut einem Spiegel-Artikel vom 18.März aktuell trotz erhöhtem Volumen nur mit etwa 7,1 Terrabit pro Sekunde (bis zu 9,5 sind es laut BILD) beansprucht. Seine maximale Kapazität liegt jedoch bei über 54 Terrabit pro Sekunde. Wenn es also hakt, dann am Flaschenhals der letzten Meter, wenn die Hausbewohner mehr Daten saugen, als die Hausleitung hergibt.

Und wie ich „aus sicherer Quelle“ (aber nicht offiziell oder zitierfähig) erfahren habe, horchen Verantwortliche eines großen Netzbetreibers prophylaktisch schon mal bei der Bundesnetzagentur vor, welche Möglichkeiten zur Erhöhung der Kapazitäten es noch so gäbe. Die Ideen sind vielfältig. So könnte man zum Beispiel bei Bedarf temporär die Netzneutralität aussetzen. Zwar hat Netflix angekündigt, auf Bitte von EU-Kommissar Thierry Breton die Datenmenge durch schlechtere Bildqualität um 25% zu drosseln. Bei Aussetzung der Netzneutraliät könnten die Provider aber die Reduktion von HD-Filmen auf SD erzwingen und so das enorme Datenvolumen von gestreamten Filmen und Serien gleich um ca. zwei Drittel reduzieren. Sie sehen, ein neues Rohrpost-System brauchen wir nicht. Es gibt genügend Stellschrauben und im deutschen Internet ist ohnehin noch genug Luft nach oben. Pffffft. Pffffft. Pffffft.

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