Früher gab es Tankstellen, deren Benzinreservoir auf einem Hügel oberhalb der Fahrebene und der Zapfsäulen angebracht war. Dadurch wurde sichergestellt, dass Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr im Notfall auch bei flächendeckendem Stromausfall (Pumpe geht nicht) mit Hilfe der Schwerkraft betankt werden können. Leider sind solche genialen und simplen Backup-Systeme immer mehr in Vergessenheit geraten. Obwohl wir sie gerade bei der heutigen Digitalisierung dringend brauchen.
Vor einigen Jahren kam ein Fahrrad auf den Markt, das ich total geil fand. Nicht nur optisch, sondern auch wegen eines Features: dem Diebstahlschutz. Wurde das Rad gestohlen, informiert man den Hersteller, der einen Mitarbeiter losschickt (!), um das Rad anhand des verbauten GPS-Senders zu finden und zurückzubringen. Gelingt das nicht, bekommt man ein neues Rad. Dieses Versprechen war so außergewöhnlich, dass diverse Fernsehsender die Suche nach geklauten Rädern begleiteten und Dokumentationen darüber ausstrahlten. Vielleicht war es nur ein Marketing-Gag, aber so billig bekommt man normalerweise keine TV-Werbung.
Angeblich hat sich das sogar unter den Fahrraddieben rumgesprochen, denn ich erinnere mich gelesen zu haben, dass Diebe Räder dieser Marke links liegen lassen. In Berlin wohlgemerkt, wo ich letztens mit eigenen Augen gesehen habe, dass Menschen ihre Drahtesel sogar im ersten Stock auf dem eigenen Balkon ans Gitter ketten.
Das Wunder-Rad bin ich im September 2018 dann Probe gefahren. Es hat mich letztlich aber nicht restlos überzeugt und ich habe es doch nicht gekauft. Zum Glück, wie sich nun herausstellt.
Die Räder des niederländischen Herstellers van Moof haben nämlich nicht nur einen Diebstahlschutz, sondern auch noch andere digitale Gadgets. Das Schloss zum Beispiel. Das kann man ohne Schlüssel (!) per Smartphone-App auf- und zusperren. Die App kann aber noch mehr, denn die van Moof-Velos gelten als die „Apples“ unter den Fahrrädern. Minimalistisches Design mit möglichst wenig Knöpfen. Daher nutzt man die App auch, um das Licht manuell ein- oder auszuschalten.
Nun ist van Moof bankrott. Am 17. Juli erklärte ein Gericht das niederländische Unternehmen für insolvent. Wenn bald die Server abgestellt werden, dann geht für alle van Moof-Nutzer sprichwörtlich ebenfalls das Licht aus. Denn die Server stellen bei jedem Login der App im Rolling-Key-Verfahren einen kryptografischen Schlüssel zur Verfügung. Das ist State-of-the-Art und verhindert, dass Hacker fremde Räder entsperren und wegfahren können (Diebstahlschutz hin oder her). Ohne Server können sich aber auch die rechtmäßigen Besitzer nicht mehr einloggen und verlieren den Zugang zur App und ihrem Rad. Zum Auf- und Absperren gibt es wenigstens einen Workaround über einen Taster am Lenker. Code 639 heißt: Taste am Lenker 6x drücken, Warten, Taste am Lenker 3x drücken, Warten, Taste am Lenker 9x drücken. Bequem und schnell geht anders. Zumindest aber geht das Schloss aber auf. Auch Treten kann man ohne App wohl noch. Ebenso Lenken. Immerhin.
Digitalisierung macht eben nicht „alles“ besser. Wie abhängig wir in vielen Bereichen von Dritten sind, haben viele noch gar nicht verinnerlicht. Unter anderem funktioniert auch bei Unternehmen, welche ihre IT in die Cloud ausgelagert haben nichts mehr, wenn vor der Haustüre ein Bagger das Glasfaserkabel abreißt und keine super schnelle 4/5G Anbindung besteht.