Wer hat an der Uhr gedreht?

Die Erde wird langsam dick und fett ... deshalb gibt es mal wieder eine 
Schaltsekunde. Die Folge: Flüge werden ausfallen und Computer abstürzen.

Bis zu drei Pirouetten pro Sekunde schafft eine Prima-Ballerina – jedoch nur, wenn sie die Arme eng am Körper hält. Fährt sie ihre Arme aus, dann wird sie gebremst. Drehimpulserhaltung nennt sich das.

SchaltsekundeDas gleiche passiert mit unserer Erde. Sie dreht sich seit Jahrmillionen in 86.400 Sekunden – also 24 Stunden – einmal um sich selbst. Durch Gezeitenwasser und tektonische Plattenverschiebungen bekommt Mutter Erde jedoch leichte “Speckröllchen” am Bauch und verformt sich ein klitzekleines bisschen in Richtung “liegendes Ei”.

Die Folge ist die gleiche wie bei der Ballerina: ein Abbremsen der Drehbewegung. Alle paar Jahre kommt dadurch sogar eine ganze Sekunde zusammen. Der blaue Planet braucht also über die Jahre eine ganze Sekunde länger, um wieder astronomisch exakt zur Sonne ausgerichtet zu sein.

Damit die Astronomen weiterhin korrekte Planetenpositionen bestimmen können, schiebt man daher seit 1972 – wenn nötig – eine Schaltsekunde ein und spendiert einer einzelnen Minute im Jahr noch eine zusätzliche, eine 61.Sekunde. Auch dieses Jahr wird das passieren. Morgen, am 30.Juni 2015, folgt nach 23:59:59 nicht 00:00:00, sondern erst noch 23:59:60.

Reddit LeapSecond ProblemDas sieht nicht nur in unseren Augen komisch aus. Einige Computer-systeme kommen damit gar nicht klar. Am 1.Jui 2012 – bei der letzten Schaltsekunde – musste Qantas-Airlines deshalb rund 50 Flüge verschieben, auch Reddit und das Reisebuchungssystem Amadeus waren kurzzeitig nicht erreichbar. Auch wenn die Fehleru(h)rsache im Linux-Kernel repariert wurde, es ist nicht auszuschließen, dass nun andere Komponenten bei einer Schaltsekunde abschmieren.

Google löst das Problem daher anders. Wie ein Metronom geben so genannte Zeitserver über das Network Time Protocol (NTP) anderen Rechnern den Takt und so die Uhrzeit vor. Am Tag vor einer Schaltsekunde erhöht man auf Googles Zeitservern künstlich die Dauer einer Sekunde um eine Winzigkeit. Auf den Google-Computern vergehen 1.000 Sekunden dann halt jeweils eine tausendstel Sekunde langsamer – solange bis die Schaltsekunde um Mitternacht ausgeglichen ist. Dies nennt man “Leap smear” und hat den Vorteil, dass die Rechner das gar nicht bemerken.

Das 1980 eingeführte GPS-System das unsere Position durch mindestens drei unterschiedliche Signallaufzeiten im Millisekundenbereich berechnet, kann sowas wie „Leap Smear“ natürlich nicht machen. Selbst diese winzige Ungenauigkeit würde dazu führen, dass uns auf der Karte eine völlig falsche Position angezeigt wird und wir uns verfahren. Die GPS-Satelliten ignorieren Schaltsekunden deshalb ganz bewusst. Sie beziehen in die Berechnung ein, dass ihre Uhren seit 1980 mittlerweile 19 Sekunden vorgehen und fragen sich nicht: „Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?“


Bildnachweis: Fotolia (c) Les Cunliffe

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