Geht’s heim und schreibt‘s a Buch

Mit „geht’s raus und spielt’s Fußball“ hat Kaiser Franz Beckenbauer 1990 die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft zum WM Sieg in Rom gecoacht. Die Mannschaft um Völler, Klinsmann und Matthäus hatte sich während der Vorbereitung im Hotel Seemeilen in Kaltern eine wilde Party gegönnt, während der Trainer ein Testspiel zwischen Jugoslawien und den Niederlanden beobachtete. Anstatt eines saftigen Donnerwetters und verschärftem Konditionstraining ließ der Kaiser gewähren und tätigte den berühmt gewordenen Spruch. Die Mannschaft wuchs ob des Vertrauens noch stärker zusammen, blieb locker und gewann letztlich im Finale 1:0 gegen Argentinien mit Diego Maradonna.

Die Idee des „Geht’s raus und …“ könnte Beckenbauer von den Isländern abgeschaut haben. 1966, als der einzige Fernsehkanal Islands noch vom Staat betrieben wurde, kam es zu einer recht ungewöhnlichen Begebenheit. Die Regierung schaltete jeden Donnerstag das Fernsehen ab. Donnerstags wurde einfach nichts gesendet. Die Menschen sollten rausgehen und sich treffen. Sie sollten lieber miteinander reden, als einfach nur auf eine Kiste zu starren und sich berieseln lassen. Geht’s raus und sozialisiert euch, war das Credo. Das Ganze ging sogar so weit, dass der TV-Lockdown auch in den großen Ferien durchgezogen wurde. Bis 1983 (!) lief während der Sommerferien – also den ganzen Monat Juli – im isländischen TV kein Programm. Keine Sesamstraße, kein Löwenzahn, keine Biene Maja – einfach nichts. „Geht’s raus und spielt’s was!

Allerdings hat so eine erzwungene Sozialisierung der Gesellschaft auch Nachteile, ganz besonders auf einer relativ kleinen Insel wie Island. Bei 320.000 Einwohnern ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass man beim Flirten in der Bar oder Diskothek ungewollt auf einen Blutsverwandten trifft. Doch auch dafür haben die Isländer eine Lösung. Eine App nämlich.

Lernt man jemanden kennen und würde gerne gemeinsam nach Hause gehen, kann man erst einmal seine Handys aneinander „bumpen“ – so nennt man das. Frei nach dem Motto der App-Entwickler: „Bump in the App, before you bump in the bed.” Die App konsultiert dann online das ÍslendingaBók, in dem die Verwandschaftsverhältnisse Islands festgehalten sind und zeigt einem sofort an: „OK, ab in die Kiste!“ oder eben „Stop! Aus genetischer Sicht geht besser jeder für sich alleine nach Hause“.

Ich habe mich nur gefragt, was man als Isländer in so einem Fall dann alleine und frustriert zu Hause macht? Gerade an einem Donnerstag zwischen 1966 und 1987, als man nicht einmal die Glotze anschalten konnte – weil Donnerstag eben nichts lief. Ich glaube, die Isländer haben dann einfach ihren Frust von der Seele geschrieben. Jeder zehnte Isländer ist nämlich Buchautor – das sind im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr als in jedem anderen Land auf der Welt.

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