Fotobeweis

Eine Funktion an meinem Handy liebe ich besonders. Es ist der Panorama-Modus beim Fotografieren. Er erlaubt es, Aufnahmen zu machen, die weit über 180° abdecken. Man hält den Auslöser der Kamera gedrückt, und schwenkt die Kamera. Dabei wird nicht eine, sondern mehrere Aufnahmen gemacht und zu einem großen, sehr breiten Bild „aneinandergenäht“. So kann man in einem Zimmer alle anwesenden Gäste mitsamt der Hauskatze im Vordergrund ablichten, obwohl die Besucher um einen herum sitzen. Oder man nimmt eine ganze Gebirgskette auf, von Ost nach West, das Panorama der Berge.

Technisch gesehen ist so eine Panorama-Aufnahme nicht ganz einfach zu bewerkstelligen. Im Gegensatz zu einer Momentaufnahme (Klick, Fertig) dauert eine Weitwinkel-Aufnahme nämlich ein paar Sekunden, während man sich dreht. In dieser Zeit kann es sein – es ist sogar wahrscheinlich – dass sich einer der Gäste bewegt. Auch der stolze Steinadler, der majestätisch vor dem Alpengipfel seine Runden zieht, steht nicht still in der Luft. Eine ausgeklügelte Routine der Kamera-App sorgt daher dafür, dass der Übergang der Einzelbilder so klug gewählt wird, dass man nicht erkennt, dass mehrere Fotos aneinandergeklebt wurden.

Manchmal geht das schief, besonders dann, wenn sich ein Objekt im Vordergrund (die Hauskatze) schnell bewegt. Oder wenn ein kleines Objekt (der Adler vor dem Gebirge) schneller fliegt, als der Fotograf sich dreht. Dann kann es vorkommen, dass die Katze aussieht, als wäre sie drei Meter lang. Oder der Adler erscheint gleich drei Mal an verschiedenen Stellen auf dem einen Foto. Im Netz gibt es mehrere Webseiten, die die lustigsten Fails von Panoramaaufnahmen zeigen – einfach mal nach „panorama fail funny“ googeln.

Natürlich kann man das auch für Spaßbilder ausnützen. Wenn man schnell ist und hinter dem Fotografen herumläuft, kann man bei einer Gruppenaufnahmen mehrmals auf dem Bild sein.

Mittlerweile ist es aber so, dass auch Einzelbilder von der Kamera-App manipuliert werden. Sei es durch Filter, die unsere Haut perfekt machen und Pickel und Mitesser (optisch) verschwinden lassen. Oder durch HDR Aufnahmen, die mehrere schnell hintereinander aufgenommene Bilder mit verschiedenen Belichtungen so zusammensetzen, dass sie von Kontrast und Helligkeit eine nie dagewesene Intensität und Farbpracht widerspiegeln. Das sind dann die Urlaubsfotos mit Wow-Effekt.

Dieser Tage habe ich ein Foto eine Frau gesehen, die ein Brautkleid anprobiert (hier). Sie steht mit dem Rücken zum Fotografen und zwei schräg vor ihr stehende Spiegel zeigen die baldige Braut frontal und von der Seite. Sie ist also dreimal zu sehen. Wenn man genau hinsieht, fällt einem auf, dass sie in jedem der drei Abbilder ihre Arme anders hält. Und der Fotograf schwört, dass das Bild eine Einzelaufnahme ist, also kein Panorama und zudem auch nicht mit Photoshop manipuliert. Dieser Schnappschuss muss von der Kamera-App des Smartphones zusammengesetzt sein – und hat ein Abbild geschaffen, dass es in der Wirklichkeit niemals geben kann.

Es muss eine Warnung sein, denn das bedeutet, dass wir einem Foto selbst dann nicht mehr vertrauen können, wenn wir es selbst gemacht haben. Auch ohne Photoshop-Kenntnisse wird ein Smartphone-Bild bearbeitet, noch bevor wir es das erste Mal am Bildschirm ansehen. Der Fotobeweis, der lange als Garant für die Wahrheit galt, ist damit Geschichte.

2 Kommentare zu “Fotobeweis

  1. Das ist schon eine ganze Weile der Fall. Unbehandelte Rohdaten spuckt keine der Consumer Cameras / Handy Kameras aus da alle Sensoren kleinste Pixeldefekte aus einem breiten Spektrum von Effekten haben. Diese werden auch in wissenschaftlichen Kamerasystemen korrigiert. Die Nachbearbeitungen in Handy Kameras münden nun in dem Begriff „Computational Imaging“ wo die Ergebnisbilder aus vielen nachbearbeiteten Teilbildern zusammengesetzt werden. Hyg Dynamic Range, Denoising, motion blur, Rolling Shutter Compensation, Red Eye Reduction, Color Enhancement, Face Detection, Smile Detection, Closed Eye Detection, etc….

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