Auf einer Konferenz in London sprach letztens Matthew Barzun, der Botschafter der USA für Großbritannien und Irland die Key Note am Ende des ersten Veranstaltungstages. Neben einem grandios vorgetragenen Eine-Folie-Vortrag („Because Power corrupts and PowerPoint corrupts absolutely“) über die Kunst Abläufe zu automatisieren und sie trotzdem zu personalisieren, erzählte er auch folgende Geschichte:
Als die USA das Internet erfunden haben, entschieden sie sich um 1990, dieses großartige System auch anderen Ländern zur Verfügung zu stellen und aus dem Arpanet das World Wide Web zu machen. Also fragten sie Großbritannien, ob sie mitmachen wollen. Die Antwort war: „Ja!“ Danach fragten sie Australien. Die Antwort war: „Ja!“ Und dann fragten sie Frankreich. Aber die Antwort war: „Non!“ Der Grund warum die Franzosen erst nicht mitmachen wollten, hieß „Minitel“.
„Minitel“ war ein dem deutschen BTX ganz ähnlicher, interaktiver Onlinedienst. Im Gegensatz zum offenen Internet war es jedoch ein geschlossenes System mit beschränkten grafischen Möglichkeiten, was letztlich auch seine Niederlage bedeutete – trotz furiosem Start. 1985, drei Jahre nach Einführung, hatte Minitel schon eine Million Nutzer und bereits 1990 sagenhafte vier Millionen User. BTX hatte im Vergleich dazu um 1988 gerade mal lächerliche 100.000 (inklusive mir).
Der Grund für die enorme Nutzerzahl lag in der Entscheidung der staatlichen PTT (Poste, Téléphone et Télécommunications,) die notwendige Hardware aus Bildschirm und Tastatur kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Die französischen Haushalte konnten sich entscheiden, ob sie weiterhin gedruckte Telefonbücher bekommen wollten – oder einen Online-Zugang zum Telefonverzeichnis samt Hardware. Dieses Angebot nutzten letztlich über neun Millionen Haushalte mit 25 Millionen Nutzern (2000), bevor das Internet seinen Siegeszug auch in Frankreich antrat und Minitel schließlich (erst) 2012 abgeschaltet wurde.
Auch wenn die Geschichte mit der Öffnung des heutigen Internets so stimmt, Barzun hat sie etwas „romantisiert“. Hätte keiner mitgemacht, wäre das www kein World Wide Web, sondern ein American Wide Web geworden. Es wäre also streng genommen auch kein Internet geworden, sondern ein Intranet geblieben. Aber wahrscheinlich hätten die Amis es in ihrer unnachahmlichen Art trotzdem Internet genannt. Der Sieger im Finale der Landesmeisterschaft im American Football, dem Super Bowl, wird ja auch als Weltmeister angesehen.
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